Die Marmorierte Baumwanze (Halyomorpha halys) (Heteroptera: Pentatomidae) (Abbildung 1) stammt aus Ostasien und wählt aus über 200 wildwachsenden oder kultivierten Futterpflanzen (Lee et al. 2013). Sie befällt fast alle Obstarten (z.B Birnen, Kirschen, Pfirsich, Himbeeren), Gemüse (z.B. Tomaten, Gurken, Peperoni), aber auch Feldkulturen wie Mais und Soja (Leskey and Nielsen 2018). Sie ist 12 bis 17 mm lang und ist kennzeichnet durch fünf gelbe Punkte unterhalb des Halsschildes (Wyniger and Kment 2010). Die Bauchseite ist hell und hat an den Rändern einige wenige schwarze Punkte. Die Marmorierte Baumwanze überwintert als adulte Wanze und ist ab einer Temperatur von 10-15°C von April bis Oktober aktiv (Leskey and Nielsen 2018). Südlich der Alpen entwickeln sich meist zwei Generationen, zB. In Italien (Costi et al. 2017), nördlich der Alpen kann eine Generation beobachtet werden (Haye et al. 2014). Es gibt aber eindeutige Hinweise, dass die Marmorierte Baumwanze im warmen Jahr (z.B. 2018) auch in der Nordschweiz zwei Generationenhervorgebracht hat. Zur Überwinterung sucht sich die Wanze im Herbst geschützte Orte an Mauern oder in Gebäuden. Deshalb kann die Marmorierte Baumwanze auch im Herbst zu einer Plage im Siedlungsgebiet werden. Achtung, drückt man diese «Stinkwanze» zu fest, sondert sie ein stinkendes Sekret ab.
Die Marmorierte Baumwanze wurde Ende des 20. Jahrhunderts in die USA verschleppt und entwickelte sich im Nordosten der USA schnell zu einem bedeutenden Schädling in Apfel, Pfirsich und Mais (Hoebeke and Carter 2003; Leskey et al. 2012). In Europa stammt der älteste Nachweis von 2004 aus dem Distrikt Hottingen in Zürich (Haye et al. 2015). Inzwischen ist sie schon in den meisten europäischen Ländern zu finden (Claerebout et al. 2019). 2015 hat die Marmorierte Baumwanze in Italien (Emilia Romagna) massiven Schaden in Birnenkulturen verursacht (Costi et al. 2017). In der Schweiz war die Marmorierte Baumwanze zuerst lange auf die Städte Zürich, Basel, Bern und Lugano begrenzt, weil sie dort bessere Lebensbedingungen findet. Sie hat sich aber in den letzten Jahren ungehindert über weite Teile der Schweiz ausgebreitet, einschliesslich des zentralen Mittellands, der Gebiete um Basel und zwischen Bern und dem Genfer See, des Tessins und auch des Wallis. Zudem legen überwinternde Baumwanzen häufig längere Distanzen als blinde Passagiere in Autos oder Frachtkisten zurück. Im Tessin gab es 2015 erste schwerwiegende Schäden an Pfirsich und Birnen und 2017 wurden erstmal auch Schäden in Obstkulturen in der Nordschweiz gemeldet. Insbesondere die Schadensmeldungen aus den Jahren 2018 und 2019 zeigten auf, dass die Marmorierte Baumwanze in vielen Regionen der Schweiz zu einem gefährlichen Schadinsekt für Spezialkulturen geworden ist.
Die Entwicklung einer wirkungsvollen Bekämpfungsstrategie ist schwierig, denn die Marmorierte Baumwanze befällt viele Pflanzenarten besiedelt zahlreiche Lebensräume und ist enorm mobil. Zudem ist sie sehr robust gegen Pflanzenschutzmittel. In der Schweiz sind derzeit noch keine Pflanzenschutzmittel gegen die Wanze zugelassen. Weltweit werden aktuell verschiedene Regulierungsansätze wie Einnetzung, Anbaumassnahmen und Nützlingseinsatz, attract-and-kill Strategien mit Fangpflanzen oder Pflanzenschutzmittel getestet (Leskey and Nielsen 2018; Morrison et al. 2019). 2017 wurde im Tessin erstmals eine kleine parasitische Wespe gefunden, die die Eier der Wanze befällt. Diese in Asien heimische Samurai Wespe ist für eine biologische Bekämpfung der Marmorierten Baumwanze vielversprechend (Stahl et al. 2019). Ein wichtiger Bestandteil einer Bekämpfungsstrategie ist die Überwachung. Das CABI Delémont betreibt seit 2012 eine Webplattform mit Informationen und aktuellen Fundmeldungen aus Privathaushalten. Seit 2017 koordiniert Agroscope ein nationales Monitoring zum Auftreten und zur Entwicklung der Marmorierten Baumwanze in der Landwirtschaft. Ein optimiertes Monitoring mit einer mobilen App ist auch das Ziel des Interreg Oberrhein Projektes «InvaProtect».
Die aktuelle Verbreitung der Marmorierten Baumwanze in der Schweiz wurde mittels Fundmeldungen aus privaten Haushalten zwischen 2004 und 2019 erfasst (ca. 500 Meldungen). Die potentielle Verbreitung und das saisonale Vorkommen der Marmorierten Baumwanze unter heutigen und zukünftigen Klimabedingungen in der Schweiz wurden bioklimatisch mit dem Modell CLIMEX abgeschätzt (Kriticos et al. 2015). Die Simulationen basieren auf den Modell Parametern die spezifisch für die Marmorierte Baumwanze geprüft wurden (Kriticos et al. 2017) und auf den Klimaszenarien für die Schweiz. Das Modell schätzt jeweils ab, wie günstig ein Standort für die langfristige Ansiedlung der Wanze ist.
Die Fundmeldungen stimmen sehr gut mit dem simulierten potentiellen Verbreitungsgebiet von heute überein (Abbildung 2). Der Vergleich zeigt auch auf, dass unter heutigen Klimabedingungen die meisten potentiell geeigneten Gebiete besiedelt sind (Stoeckli et al. 2020).
Gemäss unserer Simulation mit dem bioklimatischen Modell CLIMEX und den lokalen Klimaszenarien für die Schweiz, dürfte sich das potentielle Verbreitungsgebiet der Marmorierten Baumwanze künftig weiter ausdehnen (Abbildung 2) (Stoeckli et al. 2020). Bis 2099 könnte die Marmorierte Baumwanze in der ganzen Nordwestschweiz geeignete Lebensbedingungen vorfinden. Zusätzlich dürfte sich das potentielle Verbreitungsgebiet im Süden der Schweiz auch in höher gelegene Obstanbaugebiete ausbreiten. Bis 2099 wären somit 63.6% der Gesamtfläche der Schweiz klimatisch für die langfristige Ansiedlung der Wanze geeignet sein (Tabelle 1; Stärkstes Klimaszenario A2, 2070-2099). Im Vergleich zu heute mit 23.0% würde sich das potentielle Verbreitungsgebiete also fast verdreifachen. Wendet man das Minderungsszenario RCP3PD an, könnte sich das potentielle Verbreitungsgebiet noch um ca. 10% vergrössern. Bis zum Jahr 2045 sind die abgeschätzten Auswirkungen für alle drei Klimafolgemodelle ähnlich (Tabelle 1). Die Simulationen zeigen auch auf, dass mit dem A1B und A2 Szenario das potentielle Verbreitungsgebiet in jeder Zeitperiode um mehr 10% zunimmt. Mit dem Minderungsszenario ist ab 2045 bis 2099 nur noch mit einer Zunahme von 0.7% zu rechnen. Bei einem sehr hohen Eignungspotential muss auch mit einer sehr starken Ausbreitung und einer sehr hohen Populationsstärke gerechnet werden. Dieser Flächenanteil ist heute mit 0.3% minim (Tabelle 1). Mit dem A1B und A2 Szenario könnte der Flächenanteil mit sehr hohem Eignungspotential bis 2099 auf 32.5% bzw. 36.9% steigen.
Die bioklimatischen Simulationen bestätigen, dass die Marmorierte Baumwanze unter heutigen Klimabedingungen in der Nordschweiz eine Generation und nur an einzelnen Standorten in der Südschweiz zwei Generationen hervorbringen kann (Abbildung 3). Eine detaillierte Analyse einzelner Jahre zeigte jedoch, dass in warmen Jahren, wie z.B. 2018, auch zwei Generationen in der Nordschweiz auftreten können. Unter heutigen Klimabedingungen kann die Marmorierte Baumwanze auf 33.2% der Fläche der Schweiz eine Generation ausbilden. Mit dem A2 Szenario könnte dieser Anteil bis 2099 63.5% ansteigen (Tabelle 1) (Stoeckli et al. 2020). In Zukunft muss zudem mit einer zusätzlichen Generation gerechnet werden. Dies bedeutet, dass die Marmorierte Baumwanze in der Schweiz regelmässig zwei, eventuell sogar drei Generationen ausbilden könnte. Der Flächenanteil mit zwei oder mehr Generationen könnte von heute 0.3% mit dem A2 Szenario bis 2099 auf 34.8% ansteigen (Tabelle 1).
Die Anzahl der Wochen, in denen bioklimatisch ein Populationswachstum möglich ist, ist ein Indiz dafür, wie lange mit einem Schädling zu rechnen ist. Die Simulationen zeigen, dass sich die Wachstumsperiode um 1-3 Wochen verlängern könnte. Ein Blick auf das wöchentliche Wachstumspotential macht aber auch deutlich, dass zukünftig in heissen Sommermonaten (Kalenderwoche 25-35) durchaus mit einem reduzierten Populationswachstum zu rechnen ist, wenn die obere Temperaturgrenze für das Populationswachstum (33°C) überschritten wird (Abbildung 4). Die Simulationen prognostizieren deshalb an einzelnen Standorten und in einzelnen Wochen eine Minderung des Schadenpotentials.
Tabelle 1. Anteil der Fläche der Schweiz die für das längerfristige Überleben der Marmorierten Baumwanze günstig ist (bioklimatische Eignung) und Anteil der Fläche der Schweiz mit mehr als einer oder mehr als zwei Generationen pro Jahr. Resultate für heutige Klimabedingungen (Referenzperiode: 1981-2010) und die lokalen Klimaszenarien RCP3PD, A1b und A2 für die Schweiz, jeweils für die Zeitperiode 2020-2049, 2045-2074 und 2070-2099.
In Tabelle 2 sind für 10 Standorte in der Schweiz die bioklimatische Eignung für eine längerfristige Ansiedlung der Wanze (Bioklimatischer Index), die Anzahl der Wanzengenerationen pro Jahr und die Anzahl Wochen mit positiven Wachstumspotential dargestellt (Stoeckli et al. 2020). Die Darstellung zeigt auch die Notwendigkeit einer Differenzierten Klimafolgeanalyse für die Schweiz auf. Die Werte für die einzelnen Standorte variieren sehr stark.
Tabelle 2. Simulierte Eignung für das längerfristige Überleben (Bioklimatischer Index), die Anzahl Generationen und die Anzahl Wochen mit positivem Wachstumspotential der Marmorierten Baumwanze. Resultate für heutige Klimabedingungen (1981-2010) und die lokalen Klimaszenarien RCP3PD, A1b und A2 für die Schweiz (nur 2070-2099). Werte für 10 Stationen in der Schweiz berechnet mit dem Modell CLIMEX. Ein Index > 5 ist bereits ein Indiz, dass der Standort bioklimatisch geeignet ist. Ein Index > 15 weist bereits ein sehr hohes Eignungspotential auf.
Weiterführende Informationen
Literatur
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Letzte Änderung 25.06.2024